Mein Weg zum Supergau

2001

Am 01.08 2001 war meine Welt noch in Ordnung. Ich fühlte mich gesund und hatte Erfolg in meinem Job. Als Regionalleiter für Berlin und Brandenburg (Isolierbaustoffe-Großhandel) war ich verantwortlich für zwei Niederlassungen mit je 40 Mitarbeitern.

Als ich mehrere Tage mein Essen nicht mehr bei mir behalten konnte, ging ich zur Magenspiegelung. Das Ergebnis war niederschmetternd. Ein bösartiges Lymphom (Magenkrebs) wucherte und verschloss meinen Magenausgang. Der Onkologe riet mir, mit Chemotherapie den Tumor für eine notwendige Operation zu schrumpfen. Nach der zweiten Chemo platzte der Magen!!! Mit einer Notoperation am 09.09.2001 wurde der Magen vollständig entfernt. Ohne das von der Chemo zerstörte Immunsystem hatte ich kaum Chancen zu überleben. Sieben Bluttransfusionen und mein Wille haben die Leukozyten wieder wachsen lassen.

Zur Ernährung wurde mir eine Ernährungssonde in die Halsschlagader eingebracht. Da die Behandlung steril erfolgen muss, kam eine Mitarbeiterin der Charité Berlin zu mir nach Hause.

Am 26.10.2001 wollte ich den Katheter selbst anschließen. Nach dem Öffnen wurde mir schwarz vor Augen, ich rief noch nach meiner Frau, dann fiel ich besinnungslos vom Stuhl. Der Rettungswagen kam sofort! Eine halbe Stunde später wurde ich in die Notaufnahme der Charité Berlin eingeliefert. Nach ca. 16 Stunden erhielt meine Frau die Diagnose: Locked-in-Syndrom.

Als ich nach vielen Tagen wieder zu Bewusstsein kam, war ich von Kopf bis Fuß total gelähmt. Mein Verstand war klar, und ich konnte stereotyp nur ein Wort sagen: "Aua". Nachfolgende Untersuchungen fanden keine körperlichen Reflexe mehr.

Diverse Ursachen wurden erörtert: geplatzte Ader im Gehirn, infizierter Ernährungskatheter, ein, durch ein Loch im Herzen ins Gehirn gelangtes Blutgerinnsel könnte dort eine Ader verschlossen haben.

Immer wieder und bis heute wünsche ich mir aus diesem bösen Traum zu erwachen.
Meine Krankheit habe ich akzeptiert, aber nicht die Aussage eines Arztes, "Herr K., Ihr Leben ist zu Ende."



Meine Zeit in der Rehaklinik

2001 -2002

Ein halbes Jahr war ich in der Rehaklinik, in der es mir sehr gut gefallen hat. Mir wurden Therapeutinnen zugeteilt (Logo-, Ergo- und Physiotherapie). Sie massierten meine Arme und Beine und brachten am Fußende ein Motomed an, um meine Beine mechanisch bewegen zu lassen.

Nach drei Monaten zuckte mein linker Zeigefinger. Bald konnte ich meinen linken Arm beugen. Diese Fortschritte motivierten mich sehr und brachten Hoffnung auf mehr!
Ausserdem lernte ich, mit der Bobath-Methode beweglich zu bleiben, sogar, die Hand zum Mund zu führen.

In dieser Zeit bekam ich eine PEG (Magensonde durch die Bauchdecke) und einen Urindauerkatheter.

Die letzten zwei Monate verbrachte ich auf einer Normalstation, nicht mehr auf der Intensivstation. Ich erhielt einen Rollstuhl und konnte mich alleine fortbewegen, unter anderem in die Kantine.
Eine große Freude machte mir die Einzelbadbewegungstherapie. Mit einem Lifter wurde ich ins Wasser gelassen. Die Schwerelosigkeit im Wasser habe ich sehr genossen.

Ab dem 09.05.2002 versagte die Krankenkasse weitere Aufenthaltsverlängerungen, stellte stattdessen notwendige Hilfsmittel zur Verfügung. Ich freute mich auf mein Zuhause.



Zu Haus in Paderborn

2002-2003

Eben so schlimm wie meine Krankheit war der finanzielle Absturz! Ich durfte keine Ansprüche mehr stellen. Die Krankenkasse ließ mich altersbedingt einen Rentenantrag stellen. (die Rente liegt unter der Sozial/Armutsgrenze) Es konnte keine Hypothek, keine Versicherung, keine Nebenkosten und kein Lebensunterhalt mehr gezahlt werden.
In meiner Not rief ich den Geschäftsführer unseres Wettbewerbers an. Er half mir sofort finanziell, und veranlasste erfolgreiche Bearbeitung vieler Ansprüche aus meinen Arbeitsverträgen und vieles, vieles mehr! Er bleibt für mich immer "ein Mensch, den man nicht vergisst".
Von vielen Freunden, Verwandten und Bekannten blieben nur eine Handvoll, die sich für mein Befinden interessieren.
Seine Frau ergänzt: Ihm wurde in der Klinik nur wenig erklärt. Es wurde nur wenig mit ihm gesprochen, und niemand hatte die Zeit oder Geduld, seine Antwort abzuwarten.
Da ich keinen Pflegedienst habe, kümmert sich meine Ehefrau permanent liebevoll um mich. Nur, wenn sie selbst krank ist, wird ein Pflegedienst eingeschaltet. Ich bin ein schwieriger, manchmal unleidlicher Mensch, und es ist keine Selbstverständlichkeit, diese Arbeit Tag für Tag zu bringen.



Ein Beispiel für die tägliche Pflege:

  • Wecken,
  • Auskleiden,
  • Waschen,
  • Windeln,
  • Zahnpflege,
  • Ankleiden,
  • Aufsetzen,
  • Urinbeutel leeren 4 x täglich,
  • 6 x Essen pro Tag (wegen Magenentfernung),
  • Transfer zur Toilette, Fußbad mit Massage,
  • Rücktransport zum Motomed-Training,
  • 30 Minuten Behandlung durch Therapeuten,
  • Lagerung,
  • Bewegungsübungen am Nachmittag,
  • Schlaflagerungshilfe alle drei Stunden,
  • Transport in die Badewanne 2 x wöchentlich,
  • Eincremen, manchmal Haare schneiden, Maniküre
  • ...



2003-2004

Eine neue Krankheit muss operiert werden: Wasserbruch im rechten Hoden im Februar 2003.

Die Operation ist zwar erfolgreich verlaufen, aber durch das dauerhafte Liegen über 10 Tage und die fehlenden Therapien habe ich körperlich sehr viel Substanz und Kraft verloren. Zum Glück wird eine erneute Rehabehandlung genehmigt. Dort angekommen erhalte ich einen Therapieplan, der auf mich individuell zugeschnitten ist.
Nach einigen Tagen blute ich auf einmal aus dem Darm und komme auf die Intensivstation. Eine Ursache kann nicht gefunden werden. Natürlich musste die Reha abgebrochen werden, ich wurde nach Hause entlassen.
NAls nächstes waren meine Zähne dran. Auf einmal wackelten sie und die Zähne im Oberkiefer mussten komplett entfernt werden. Monate lang wartete ich auf Ersatz, natürlich ohne feste Nahrung. Nur Brei und Suppe ließen mich nicht kräftiger werden.



2004-2005

Bei vielen Untersuchungen wurde ein 3cm großes Bauchaortenaneurysma erwähnt. (Bei 5cm Größe kann man innerlich binnen kürzester Zeit verbluten). Daraufhin wurde die Bauchaorta vom Arzt versucht zu ultraschallen, leider vergeblich. So wurde eine Computer-Tomographie durchgeführt. Zur Sicherung wurde um ein weiteres CT gebeten, bei dem man festgestellt hat, dass das Bauchaortenaneurysma 5x6cm groß sei und ich sofort operiert werden müsste. Die Operation ist zum Glück erfolgreich verlaufen, im Gegensatz zur nachfolgenden Pflege: Nur eine Schwester und ein Praktikant konnten meinen hilflosen, unbeweglichen Körper handeln und lagern. Das lange Liegen im Krankenhaus nach der OP schwächte mich sehr. Meine geringe Beweglichkeit war abgebaut, und ich kämpfe heute noch um eine Wiederkehr der Kraft.
Hoffentlich habe ich nun genug Reparationen an mir vollbringen lassen.

Ich bin immer noch voll motiviert und glaube zwar nicht an Heilung, aber an eine Besserung.
Trotz Quälerei und Schmerzen: ich lebe gern noch weiter !